Sollten wir energieautarke Gebäude bauen?
Sich unabhängig von öffentlichen Netzen und wechselhaften Energiepreisen mit Strom und Wärme versorgen zu können, hat für viele Menschen einen gewissen Reiz. Das ist verständlich, nicht zuletzt aufgrund der Diskussionen um die Versorgungssicherheit, die zuletzt wieder Fahrt aufgenommen haben. Doch kann heute ein Gebäude oder ein Areal überhaupt energetisch autark sein? Und falls ja, wie sinnvoll ist das aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht?
Komplett oder teilweise autark
Zuerst die einfache Antwort: Ja, heute ist es technisch möglich, eine energieautarke Immobilie zu bauen. Das beweist zum Beispiel das erste energieautarke Mehrfamilienhaus der Welt in Brütten. Mit einer Kombination aus hoher Solarstromproduktion, Batterie- und Wasserstoffspeicher sowie einem Fokus auf Energieeffizienz gelang es, ohne externe Strom- oder Wärmelieferungen auszukommen. Aus wirtschaftlicher Sicht war das aber nicht die optimale Lösung, wie die Umwelt Arena Schweiz als Eigentümerin feststellte. Vor allem die thermische Spitzenlastabdeckung durch die saisonale Speicherung von Wasserstoff, die nur an etwa 20 Tagen pro Winter benötigt wird, ist viel teurer, als wenn man diese über einen Netzanschluss sicherstellen würde. Eine Teilautarkie dürfte in den meisten Fällen also ökonomisch sinnvoller sein als eine komplette Autarkie.
Areal statt Einzelgebäude?
Wirtschaftlich attraktiver als ein energieautarkes Einzelgebäude ist Autarkie auf Stufe Areal, weil sich so Skaleneffekte ausnutzen lassen. Zudem kommen technische Lösungen wie thermische Netze oder Wärmespeicher infrage, die für Einzelgebäude nicht rentabel sind. Je grösser ein Areal ist und je mehr Verbraucher mit einen unterschiedlichen Nutzungsprofil es hat, desto besser verteilen sich auch die Spitzenlasten, was die Kosten ebenfalls senkt. Die Realisierung von Autarkiekonzepten benötigt oft viel Platz, wovon in ländlichen Gebieten mehr vorhanden ist als im urbanen Raum. Zudem ist Bioenergie in Form von Holz oder Biogas abseits der grossen Zentren einfacher nutzbar. Diese Energieträger eignen sich für die Spitzenlastabdeckung im Winter, was für eine komplette Autarkie entscheidend ist.
Ein vollständig energieautarkes Areal ist also grundsätzlich möglich, bisher ist in der Schweiz aber noch kein solches Projekt realisiert worden. Einen hohen Autarkiegrad von 90 % erreicht das Areal «Am Aawasser» in Buochs. Es ist allerdings ein Spezialfall: Dank der Lage direkt an einem Fluss kann es sich über ein arealeigenes Wasserkraftwerk versorgen.
Interview: Autarkie und das Stromnetz
Technisch ist Energieautarkie also möglich, aus wirtschaftlicher Sicht hingegen meist weniger sinnvoll. Doch wie steht es um die Auswirkungen solcher Konzepte auf das Energiesystem? Dazu haben wir ein Interview geführt mit Gerhard Bräuer, dem Leiter Asset Management Netz und Grundversorgung bei Repower. Er erklärt, wie sich Autarkiebestrebungen auf das Stromnetz auswirken und welche Herausforderungen damit verbunden sind.
Gerhard Bräuer, würden Sie persönlich gerne in einem energieautarken Gebäude leben?
In meinem Verständnis ist ein Gebäude dann energieautark, wenn es vollkommen unabhängig vom lokalen Netzbetreiber ist. Dieses Konzept stellt einen Gegenentwurf zum heutigen Versorgungssystem dar. Der Gedanke tönt zwar etwas futuristisch, aber nichtsdestotrotz sehr interessant. Vorerst bin ich aber zufrieden, wenn ich in einem energieeffizienten Gebäude mit guter Wärmedämmung wohnen kann und die Möglichkeit habe, mich energiebewusst zu verhalten.
Was braucht es, damit ein Gebäude energieautark wird?
Für eine vollständig energieautarke Immobilie ohne Anschluss an ein öffentliches Netz sind in erster Linie erhebliche finanzielle Mittel nötig. Nebst der Erschliessung von erneuerbaren Energiequellen braucht es Energiespeicher sowie eine intelligente Steuerung für die Ansteuerung der flexiblen Lasten. Das Erstellen dieser technischen Anlagen ist mit hohen Investitionskosten verbunden.
Immer mehr Gebäude erreichen durch die Verbreitung von PV und Batteriespeichern eine Teilautarkie. Welche Auswirkungen hat das auf das Stromnetz?
Das ist ein wichtiger Aspekt, der leider oft vergessen oder nicht thematisiert wird. Teilautarkie bedeutet, dass die Netzinfrastruktur vorhanden bleibt, sodass bei Spitzenlasten und Notfällen die erforderliche Energie über das Netz geliefert werden kann. Zudem nimmt das Netz überschüssige Energie auf, wofür eine Entschädigung ausgerichtet werden muss. Dazu ist der Netzbetreiber gesetzlich verpflichtet, egal ob es für diese Energie gerade eine Verwendung und einen Markt gibt oder nicht.
Wie wirkt sich das finanziell aus?
Der Netzbetreiber sorgt für die Instandhaltung der Infrastruktur, erneuert sie oder baut sie sogar aus, wenn die maximale Rückspeiseleistung die bisherige Anschlussleistung übersteigt. Der Bau von Photovoltaikanlagen kann also zu höheren Netzkosten führen, weil die Infrastruktur über genügend Kapazitäten verfügen muss, um allfällige Überschüsse aufnehmen zu können. Abgerechnet wird aber grösstenteils nur nach bezogener Energie, also pro Kilowattstunde. Je mehr teilautarke Bezüger es also gibt, desto höher fallen die Netzkosten für die «normalen Bezüger» aus.
Welche Lösungen kommen für dieses Problem infrage?
Die Netzbetreiber müssen die Tarife möglichst flexibel gestalten können, damit sich die Netzkosten verursachergerecht abrechnen lassen. Diese Flexibilität fehlt bisher. Statt der bezogenen Energiemenge (kWh) müsste die maximale Bezugsleistung (kW) eines Anschlusses kostenrelevant sein, denn diese steht in direktem Verhältnis zu den Netzkosten. Anders formuliert: Wer seine Bezugsleistung dauerhaft reduziert, soll von günstigeren Netzkosten profitieren. Wer hingegen für den Notfall und die Spitzenlast eine hohe maximale Bezugsleistung braucht, muss dafür auch einen fairen Anteil an den Netzkosten übernehmen. Das ist heute nicht der Fall – auch nicht bei den ZEV- oder den geplanten LEG-Lösungen.
Wäre denn eine komplette Autarkie aus systemischer Perspektive die bessere Lösung?
In einem Energiesystem gibt es immer Orte mit einem Produktionsüberschuss und Orte mit einem hohen Bedarf. Sie müssen über ein Versorgungsnetz verbunden sein, um Produktion und Verbrauch jederzeit ausgleichen zu können. Um den Autarkiegrad zu erhöhen, geschieht dies idealerweise über flexible Speicher und flexible Lasten am Ort des Netzanschlusses. Ein flexibler Speicher könnte etwa ein Elektrofahrzeug oder ein lokaler Speicher sein, der den Eigenverbrauch der PV-Anlage optimiert. Eine komplette Autarkie ist dabei aber kaum möglich. In der Regel braucht es deshalb den Netzanschluss weiterhin, um Erzeugung und Verbrauch auszugleichen.
Könnte man die Infrastrukturkosten senken, indem abgelegene Gebäude im ländlichen Raum autark versorgt werden?
Bei Netzen mit langen Distanzen und wenig Absatz wäre eine autarke Lösung zumindest von der Kostenseite her interessant. So könnten die Ausgaben für den Netzausbau verringert und allenfalls auch Investitionen für neue Anlagen verhindert werden. Weniger Infrastrukturbauten hätten zudem auch einen positiven Effekt auf die Umwelt. Allerdings wäre es eine grosse Herausforderung, dem autarken Anschlussnehmer eine ähnlich hohe Verfügbarkeit wie durch den Anschluss ans öffentliche Netz zu garantieren, denn diese liegt aktuell bei 99,99 %.