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Nahaufnahme einer alpinen Solaranlage

Photovoltaik-Boom in den Bergen

23. November 2022
Erneuerbare Energie
Technologie & Anlagen
Die Debatten der letzten Monate rund um die Verlässlichkeit der Schweizer Energieversorgung haben deutlich gemacht, dass vor allem im Winter mehr Strom benötigt wird. Wesentlich dazu beitragen könnten Photovoltaikanlagen in den Alpen, denn dort scheint auch im Winter oft die Sonne und die tieferen Temperaturen erhöhen die Effizienz von Solarmodulen. Im Wallis wurden nun gleich mehrere Grossprojekte angekündigt. Und auch im bestens erschlossenen Kanton Graubünden bringt man sich in Position.
Visualisierung des Projekts «Gondosolar»
Projekt «Gondosolar»: So könnte es aussehen, wenn Photovoltaikmodule in den Alpen installiert werden. Quelle: Gondosolar

Trüb, grau, wolkenverhangen – das Wetter im Flachland ist während der kalten Jahreszeit oft wenig erbaulich. Das macht nicht nur vielen Menschen zu schaffen, sondern auch den Photovoltaikanlagen. Im Winterhalbjahr produzieren sie gerade mal ein Viertel ihres Jahresertrags. Das ist insofern ungünstig, als dass just in dieser Jahreszeit die Stromnachfrage am höchsten ist. Im Gegensatz zum Flachland scheint in den Alpen auch im Winter oft die Sonne, insbesondere in Gebieten über der Nebelgrenze. Das freut die Touristen und erhöht den Ertrag der Photovoltaik (PV) in diesen Zonen. Sie generieren im Winterhalbjahr ungefähr gleich viel Strom wie im Sommer und können so dazu beitragen, das Stromdefizit im Winter zu reduzieren.

Albedo-Effekt nutzen

Die vergleichsweise hohen Erträge von Solaranlagen in den Bergen sind nebst den wenigen Nebeltagen auch auf die hohe Solarstrahlung und die tiefen Umgebungstemperaturen zurückzuführen, die den Wirkungsgrad der PV-Module verbessern. Dazu kommt der Albedo-Effekt, also die Reflexion der Sonnenstrahlen. Bei Neuschnee beträgt die Albedo bis zu 95 Prozent – der höchste Wert aller natürlichen Oberflächen. Dadurch lohnt es sich, auf oft verschneiten Freiflächen bifaziale Solarpanels einzusetzen, die beidseitig mit Solarzellen bestückt sind – so lässt sich die Sonnenstrahlung direkt und indirekt einfangen.

Neigungswinkel der sechs Module der ZHAW-Versuchsanlage oberhalb von Davos
Der Neigungswinkel der sechs Module der ZHAW-Versuchsanlage oberhalb von Davos lässt sich individuell anpassen. Die Erkenntnisse sollen helfen, künftige Anlagen möglichst effizient zu realisieren. Quelle: ZHAW

Was die Winter-Photovoltaik zu leisten vermag und wie man die Sonnenkraft in den Bergen am besten nutzt, untersucht die «Forschungsgruppe Erneuerbare Energien» der ZHAW seit 2017 mit einer Versuchsanlage oberhalb von Davos. Auf rund 2500 m ü.M. stehen beim Totalpsee sechs nach Süden ausgerichtete Solarmodule – zwei davon bifazial – mit einer individuell anpassbaren Neigung. Aufgrund der gemessenen Erträge wollen die Forschenden in Erfahrung bringen, welche Neigungswinkel im hochalpinen Raum besonders effizient sind. Auch die Auswirkungen des Albedo-Effekts auf die Erträge von PV-Anlagen sind Teil der Untersuchung. Ziel ist es, das Potenzial der alpinen Photovoltaik zuverlässig einschätzen zu können, gerade auch im Vergleich mit dem Ertragspotenzial von Solaranlagen im Flachland.

Grafik mit Resultaten der PV-Versuchsanlage Totalp
Die Resultate von der Versuchsanlage Totalp zeigen deutlich, wie viel mehr Ertrag ein PV-Panel in den Alpen im Winterhalbjahr (dunkler Teil der Balken) im Vergleich mit einem Panel im Flachland (Wädenswil, ganz rechts) produziert. Quelle: ZHAW

Erste Messungen analysiert

Die Messreihe der Jahre 2018 bis 2020 wurde bereits ausgewertet. Die Daten zeigen, dass alle sechs Solarmodule der Testanlage höhere Erträge liefern als ursprünglich erwartet. Dies dürfte nicht zuletzt auf die steilen Neigungswinkel und den Einsatz bifazialer Module zurückzuführen sein. Im Vergleich mit Modulen im Flachland erreichten die alpinen Module einen jährlichen Mehrertrag von 70 bis 100 Prozent. Die Differenz ergibt sich vor allem daraus, dass die alpinen Module während der Wintermonate je nach Ausrichtung teilweise drei- bis viermal so viel Energie generieren wie die Module im nebelgeplagten Flachland. Am ertragsstärksten war in der Messperiode 2018 bis 2020 das bifaziale Modul mit einer Neigung von 70 Grad. Im November, Dezember und Januar erreichte es ähnliche hohe Erträge wie ein durchschnittliches Flachland-Modul im Hochsommer. Das Projekt der ZHAW belegt, dass die alpine Photovoltaik im Winter einen wesentlichen Beitrag zur Deckung der Winterstromlücke leisten kann.

Parlament wird aktiv

Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise kam auf politischer Ebene Bewegung in die Frage der Photovoltaik im alpinen Raum. Bis anhin war es aus rechtlichen Gründen schwierig, eine Bewilligung für den Bau einer PV-Anlage auf einer Freifläche in den Bergen zu erhalten. Im August 2022 lancierte der Ständerat die sogenannte Solaroffensive, um dank einer vereinfachten Bewilligungspraxis blockierte Solar-Grossprojekte in Gang zu bringen. Der Nationalrat passte die Vorlage im September noch leicht an. Schliesslich einigte sich das Parlament darauf, grosse Solaranlagen in den Bergen erleichtert zu bewilligen und mit Investitionen aus dem Netzzuschlag zu unterstützen. Der Natur- und Landschaftsschutz soll aber gewährleistet sein. So dürfen beispielsweise in Biotopen von nationaler Bedeutung keine Solaranlagen realisiert werden.

Gondosolar als Vorreiter

Mit der Solaroffensive erhöhen sich die Chancen, dass ambitionierte Solarprojekte in den Alpen tatsächlich realisiert werden können. Eines davon ist das im Februar 2022 vorgestellte «Gondosolar» mit einem Investitionsvolumen von etwa 42 Millionen Franken. Oberhalb der Gemeinde Gondo auf der Südseite des Simplonpasses soll in über 2000 m. ü. M. auf einer Fläche von rund 100 000 Quadratmetern eine riesige Photovoltaikanlage erstellt werden. Konkret ist geplant, 4500 bifaziale Solarelemente aufzustellen, die aus je acht PV-Modulen bestehen. Bei einer installierten Leistung von 18 MW soll die Anlage jährlich mehr als 23 Millionen kWh Strom generieren, was den Jahresbedarf von etwa 5200 Haushalten decken würde. Mehr als die Hälfte des Ertrags wird im Winterhalbjahr erzeugt, weil Gondosolar pro Fläche viermal so viel Winterstrom produziert wie eine Anlage im Flachland.

Lanciert wurde das Projekt von der Gemeinde Gondo-Zwischbergen, der lokalen Energieversorgerin «Electrique de Simplon» und dem Projektinitianten Renato Jordan, dem die Parzelle am geplanten Standort der Anlage gehört. Im April 2022 wurde als erster Schritt des Bewilligungsverfahrens ein Antrag auf Festsetzung im kantonalen Richtplan eingereicht. Dank des Solaroffensive des Parlaments sollte das Projekt nun mindestens ein Jahr schneller realisiert werden können. Sobald das Bewilligungsverfahren abgeschlossen ist, kann die Anlage innerhalb von rund zwei Jahren gebaut und in Betrieb genommen werden. Im Optimalfall kann Gondosolar im Jahr 2025 mit der Produktion von Solarstrom beginnen.

So würde das Solarprojekt «Gondosolar» aussehen
So könnte es aussehen, wenn Gondosolar in einigen Jahren in Nachbarschaft zu Landwirtschaft und Tourismus Solarstrom erzeugt. Quelle: Gondosolar

Weitere Projekte

Nach der Ankündigung von Gondosolar wurden zwei weitere, noch grössere Solarprojekte lanciert – ebenfalls im Wallis. Oberhalb der Gemeinde Grengiols im Saflischtal soll auf einer weitgehend ungenutzten Fläche ein Solarpark entstehen, der jährlich bis zu 2 TWh Strom produziert, die Hälfte davon im Winter. Damit würde «Grengiols Solar» etwa gleich viel Elektrizität liefern wie das schweizweit grösste Speicherkraftwerk Grande Dixence. Allerdings formiert sich Widerstand gegen das Projekt, vor allem wegen des befürchteten Einflusses des Solarparks auf das Landschaftsbild.

Einen umfassenden Ansatz verfolgt ein weiteres Grossprojekt namens «Vispertal Solar». 800 000 Solarmodule sollen über dem Saaser- und Mattertal etwa 1,45 TWh Strom pro Jahr generieren. Das Konzept beinhaltet auch bereits Ansätze, wie der Solarstrom gespeichert werden kann. Den Initianten zufolge soll das nahegelegene Wasserkraftwerk Mattmark durch den Bau eines neuen Ausgleichsbeckens zu einem Pumpspeicherkraftwerk erweitert werden. Zudem ist geplant, einen Grossteil des Solarstroms an den Industriekonzern Lonza zu liefern, der diesen entweder direkt verbrauchen oder in einem Wärmespeicher (auf 1200 Grad erhitzten Quarzsand) zwischenspeichern kann. Die gespeicherte Wärme könnte dann für Industrieprozesse nutzbar gemacht werden. Allerdings ist das Projekt noch nicht fertig ausgearbeitet – weder die Axpo als Hauptaktionärin des Mattmark-Staudamms noch die Lonza sind bisher ins Projekt integriert worden.

Erste Schritte in Graubünden

Nachdem in Bern der Weg für alpine Solaranlagen frei gemacht wurde, wird auch in Graubünden eifrig nach geeigneten Standorten für Grossprojekte gesucht. Der Kanton verfügt über zahlreiche hochalpine Standorte, welche die nötigen Kriterien erfüllen dürften und darüber hinaus, anders als die Projekte im Wallis, einen genügend grossen Netzanschluss gewährleisten. Beste Voraussetzungen also, erste Planungsschritte einzuleiten.

Das sagte sich auch die Bürgergemeinde von Scuol. Sie fällte im November einstimmig einen Grundsatzentscheid zugunsten einer PV-Anlage im Gebiet Sur Bos-cha. Die Bürgergemeinde ist die Eigentümerin des für das Projekt vorgesehenen Grundstücks. Die Idee für diese Gross-Solaranlage kam von Heinz Gross, Projektleiter bei der Engadiner Kraftwerke AG. Die Verantwortlichen sehen grosses Potenzial. Würde der ganze Perimeter von 35 Hektaren genutzt, könnte mit bis zu 180'000 Solarmodulen Strom für 20'000 bis 30'000 Haushalte produziert werden. Eine überbaute Fläche von zehn Hektaren sei absolut realistisch, heisst es. Damit würden immer noch 10'000 bis 15'000 Haushalte mit Strom versorgt werden können.

Abklärungen zur Wirtschaftlichkeit und der Widerstand von Landschaftsschützern dürften dazu führen, dass es trotz vieler Projekte und der Solaroffensive des Parlaments noch einige Jahre dauert, bis grosse Solarparks in den Alpen den begehrten Winterstrom liefern.

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